Die Zörbiger Saftbahn

Pressemeldung vom 18.09.2002


"Saftbahn" von Landesregierung eingestellt

Anwohner und Gäste nahmen Abschied


Einen Tag nach dem 105. Streckengeburtstag fuhren am 28.09.2002 die vorerst letzten Züge auf der Bahnstrecke 252 Bitterfeld – Stumsdorf. Das Land Sachsen – Anhalt hatte den Personenverkehr nur wenige Wochen vorher bei der Deutschen Bahn AG abbestellt.

Viele Gäste aus weiten Teilen Deutschlands waren angereist, um den letzten Betriebstag mit einem Triebwagen der Baureihe 772, die im Volksmund auch "Ferkeltaxen" genannt werden, auf Foto und Film festzuhalten. Hunderte Anwohner der Anliegergemeinden nahmen mit Blumensträußen und Zugfahrten vom Triebwagen 772 179 des Bahnbetriebswerkes Halberstadt mit so mancher Träne Abschied.

An diesem Tage war vorgesehen, diesen mit einem weiteren Fahrzeug zu kuppeln, klappte aber wegen technischen Problemen nicht, so dass der verkehrende Solo-Triebwagen meist überfüllt auf der "Saftbahnstrecke" pendelte. Der Zug wurde vom Bahnpersonal mit einem entsprechenden Lokschild und einer Blumenkette geschmückt, die auf das Tagesereignis hinwiesen. Der Philatelistenverein Zörbig 1950 e.V. hatte für diesen Tag zwei Sonderpostkarten zum Erhalt der Bahnstrecke vorbereitet, die im Zug und auf dem Bahnhof Zörbig verkauft wurden und ein großes Interesse fanden.

Mit einem Gruppenfoto auf dem Bahnhof Sandersdorf nahmen auch die Mitarbeiter der Deutschen Bahn AG von ihrer liebgewonnen Strecke und ihrem Arbeitsplatz Abschied.
Der letzte Zug verlies um 20.15 Uhr den Bahnhof Bitterfeld in Richtung Stumsdorf. Eigentlich sollte dieser schon um 18.15 Uhr abfahren. Trotz der Dunkelheit hielt die RegionalBahn mit der Nummer 37493 auf dieser letzten Fahrt auf allen Unterwegsbahnhöfen und Haltepunkten, um diese bildlich festzuhalten. Tränenreich schickten die Fahrdienstleiter der Bahnhöfe Sandersdorf und Zörbig, den Zug auf die letzten Betriebskilometer.

Privates Eisenbahnunternehmen hält an Übernahme fest

Trotz der Abbestellung des Zugverkehrs durch die sachsen-anhaltinische Landesregierung hält die SachsenBahn GmbH i.G. an ihrem Betreiberkonzept für die Bahnstrecke Bitterfeld – Stumsdorf fest (siehe Zörbiger Bote, Ausgabe 08/02). Dazu hatte es am 19.09.2002 ein Gespräch im Magdeburger Verkehrsministerium gegeben. Das vorgestellte Bedien- und Kostenkonzept wurde jedoch vom Verkehrsministerium und der Nahverkehrsanstalt Sachsen-Anhalt (NASA) ohne eine eingehende Überprüfung abgelehnt, obwohl im Landeskabinettsbeschluss vom Juli 2002 beschlossen wurde, dass die alternativen Schienenkonzepte zu analysieren sind.
Derzeit fahren zwar keine Züge mehr, aber "die Bahnstrecke ist damit noch nicht stillgelegt", wurde auf Anfrage des Schieneninfrastrukturbetreibers –DB Netz gesagt, welche nach wie vor die Bahnstrecke in einem betriebssicheren Zustand halten muss. Bis zum 15.11.2002 können noch Übernahmeangebote angefordert werden. Bis heute liegt ein schriftliches Angebot von DB Netz der
SachsenBahn noch nicht vor; wird aber in den nächsten Wochen erwartet.

Probleme kommen

Die Probleme, die nun die Stadt Zörbig und die anderen Anliegergemeinden haben, lassen sich schon wenige Tage nach der Zugeinstellung an den Bahnhöfen und Haltepunkten feststellen. So wird zunehmend das Zörbiger Bahnhofsareal von Jugendlichen mit Graffitis beschmiert und verunreinigt. Erhebliche Probleme entstanden auch für die Benutzer / Fahrgäste des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Als Zugersatz verkehren Busse zwischen Bitterfeld und Stumsdorf, die das Land Sachsen-Anhalt aus Mitteln des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) bezahlt. So entfallen für die Reisenden komplette Bahn- und Serviceangebote, wie zum Beispiel die Annerkennung der Bahn Card oder Bahnfahrscheinen. Auch die preisgünstigen Gruppenfahrten, gerade für die Schulklassen, entfallen ersatzlos. Zwar wird im Bus das Schöne-Wochenende-Ticketund das Sachsen-Anhalt – Ticket anerkannt, nur wo sollen diese gekauft werden, wenn Bahnhöfe
geschlossen und Ticketautomaten außer Betrieb sind?

Verwaltungsgemeinschaft Zörbig kämpft um Bahnlinie

Das Image der Verwaltungsgemeinschaft Zörbig hatte unter Abbestellung der Bahnstrecke Bitterfeld – Stumsdorf besonders zu Leiden. Überregional als "Zörbiger Saftbahn" bekannt, zog sie schon viele Gäste in die Stadt. Gerade auch für die Entwicklung des kulturellen Zentrums in unserem Landkreis, dem Rittergut Mößlitz, sollte die Bahnlinie eine wichtige Rolle spielen. So wurde bereits ein Haltepunkt
am Mößlitzer Weg in Zörbig fest eingeplant.
Die Bürgermeister der Gemeinden Großzöberitz, Stumsdorf und der Stadt Zörbig werden sich auch weiter bemühen, den Bahnverkehr durch ein privates Eisenbahnunternehmen wieder ins rollen zu bringen.
Auch nach dem Verfassen eines Protestbriefes im Juli 2002 ging keine Stellungnahme zur Streckenabbestellung ein. Auf einer Kreistagsitzung am 26.09.2002 in Bitterfeld wurde der Landrat Uwe Schulze mit dem Thema "Saftbahn" konfrontiert und befragt. Dieser konnte zu den gestellten Fragen leider keine Auskunft geben und verwies auf den Sachgebietsleiter im Landratsamt Bitterfeld.
Der besagte Sachbearbeiter beantwortete aber die Fragen nur spärlich und lückenhaft. So bleiben u.a. die Fragen offen,
warum die Bahnstrecke abbestellt wurde, obwohl sie im Verkehrswegeplan der ehemaligen Landregierung bis zum Jahr 2010 enthalten war
und wie es um die Unterstützung des Landkreises zu einem interessierten privaten Eisenbahn- unternehmen steht, wenn dieses beabsichtige, die Bahnstrecke zu übernehmen.
Zörbigs Bürgermeister Rolf Sonnenberger stellte auf der Finanz- und Hauptausschusssitzung am 24.09.2002 klar, dass diese Fragen unbedingt geklärt werden müssen. "Es kann nicht sein, das ein kostengünstiges Angebot vorliegt, dass zudem auch noch günstige Sanierungsarbeiten vorsieht und keinerlei Beachtung findet. Das Land bekommt bis zum Jahr 2007 über 52 Mill. Euro für den Ausbau
und Erhalt von Bahnstrecken".

K o m m e n t a r

Handstreichartig und ohne verkehrspolitisches Konzept: So lässt sich die bahnpolitische Entwicklung in Sachsen-Anhalt auf einen Nenner bringen. Handstreichartig deshalb, da das bereits seit Monaten vorhandene, aber nie ernsthaft diskutierte NASA-Arbeitspapier als Grundlage der CDU-Anfrage nun nach dem Regierungswechsel in Magdeburg sehr kurzfristig und mitten im laufenden Fahrplanjahr den Todesstoß vieler Zweigstrecken bedeutete. Und das verkehrspolitische Konzept der neuen Landesregierung setzt offensichtlich nur noch auf Straßenbau. Sollte nicht mehr Verkehr auf die Schiene verlegt werden? Neben den zahlreichen Einschnitten vor Ort in den Bahnverkehr gibt es eine weitere bedauerliche Dimension. Sachsen-Anhalt galt in der Bahnszene als eines der wenigen Bundesländer, dass in der Vergangenheit nicht nur auf Bahnverkehr zwischen den Ballungszentren, sondern auch auf eine Bahnanbindung in der Region setzte. Für diese richtungsweisende Politik
erntete die ehemalige Landesregierung von einigen Kollegen aus anderen Bundesländern Hohn und Spott. Nun fühlen sich diejenigen bestätigt, die ihre Streichorgien in eigenen Bundesländern "erfolgreich" abgeschlossen haben. Anstelle in die Sanierung der betroffenen Bahnstrecken, fließt jetzt wohl erst einmal viel Geld in den Bau von noch mehr Straßen, wie zum Beispiel in eine Bahnbrücke
bei Sandersdorf (Ortsumgehung B 183 Sandersdorf - Bitterfeld).
Das Land Sachsen-Anhalt und die NASA machten es sich leicht und entwickelten mit dem Landkreis Bitterfeld ein "optimales Busangebot". Unter einen optimalen Busverkehr versteht aber der Fahrgast sicherlich mehr, als am Wochenende einen Anrufbus anzufordern und auf ihn zu warten. So geht es z.B. seit dem 29.09. den Fahrgästen ab Stumsdorf, die aus Richtung Halle/S. oder Magdeburg kommen und einen Anschluss in Richtung Bitterfeld wahrnehmen wollen. Da es keine öffentliche Telefonzelle in der Gemeinde Stumsdorf gibt und nicht jeder ein Handy hat, stellt sich die Frage, wie ein Anrufbus am Wochenende geordert werden soll. Da heißt es für den Fahrgast, gut zu Fuß / Fahrrad oder halt eben gänzlich auf das Auto umsteigen! Attraktivität hat eben keine Grenzen! Ein weiteres Szenario wird den Fahrgästen in den Wintermonaten vorgehalten. Auch hier hat die Schiene klare Vorteile gegenüber dem "optimalen Busverkehr". Konnten die Zugbegleiter bisher untereinander die Fahrgäste anmelden, so dass der Anschlusszug warten konnte, stellt sich nun die Frage, wie das zukünftig abgewickelt werden soll. Die Verständigung und die Auskunft zwischen Bahn und Bus ist komplett unterbrochen, so dass zu erwarten ist, dass Reisende auf den kalten Bahnsteigen zurück bleiben. Eine Bahnstrecke zwischen mehreren Hauptstrecken zu streichen, ist ein gefährliches Unterfangen. Die Verantwortlichen des Landkreises Bitterfeld kommen offenbar ihrer Pflicht nicht nach, die Interessen einer Vielzahl seiner Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Landesregierung ernsthaft zu vertreten. So werden die Anliegergemeinden auch von der Landesregierung aus Sachsen-Anhalt im Stich gelassen. Festzustellen ist, dass nach über zwei Monaten (!) noch keine Stellungnahme des Verkehrsministers Dähre und der NASA bei der Verwaltungsgemeinschaft Zörbig eintraf.

Im Zörbiger Boten wird auch zukünftig über das Geschehen dieser Bahnstrecke berichtet.

Gemeindezeitung der Verwaltungsgemeinschaft Zörbig, Amtsblatt \"Zörbiger Bote\"

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