Landesregierung von Sachsen-Anhalt will "Saftbahn" abbestellen
Anliegergemeinden protestieren, Busse keine Aativeltern
Völlig überraschend und noch vor dem eigentlichen Fahrplanwechsel im Dezember, will die Landesregierung von Sachsen-Anhalt die Zugleistungen auf insgesamt 13 Nahverkehrsstrecken zum 1. Oktober bei der Deutschen Bahn AG abbestellen und auf Busverkehr umstellen.
Auf dieser "Streichliste" befindet sich auch die Bahnstrecke 252 Bitterfeld-Stumsdorf.
Als Grund für die Abbestellung von ca. 350 Streckenkilometern werden fehlende finanzielle Mittel angegeben. Angabegemäß bekommt das Land Sachsen-Anhalt aus den Regionalisierungsmitteln des Bundes zukünftig etwas weniger Geld als bisher. Es fehlen ca. 10 Mio. Euro pro Jahr. Da liegt es aus Sicht der Landesregierung nahe, Strecken mit angeblich geringer Auslastung abzubestellen. Eine Entscheidung, die bei den Anliegergemeinden, Bürgern und Fahrgästen auf Unverständnis stößt.
Der Fahrgastverband PRO BAHN kritisiert die von der neuen Landesregierung in Sachsen-Anhalt betriebenen Stilllegungen von Bahnstrecken. \"Warum hier im Schnellverfahren Schienenwege aufgegeben werden sollen, verstehen wir nicht\", betont Verbandssprecher Andreas Barth". "Gerade die jüngst erfolgte Einigung zwischen Bund und Ländern bei den Geldern für den Nahverkehr bringe Planungssicherheit bis 2007. Zeit genug für die Landesregierung, nach vernünftigen Alternativen zu suchen." Für Sachsen-Anhalt steht ab diesem Jahr ein zusätzlicher Betrag von 4 Mill. Euro für die Bezahlung des Bahnverkehrs zur Verfügung. Jetzt aber sollen die Fehler früherer Jahre wiederholt werden \"ohne dass die betroffenen Gemeinden und Landkreise auch nur angehört werden, koppelt Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre (CDU) ganze Regionen vom Eisenbahnnetz ab\", so Barth weiter. Einen viel schlechteren Start hätte die neue Regierung aus verkehrs- und strukturpolitischer Sicht nicht hinlegen können.
Die ersten Äußerungen aus dem Magdeburger Verkehrsministeriums gab es in der Presse über die Fahrgastzahlen auf der Bahnstrecke Bitterfeld – Stumsdorf, wo nach einer Fahrgasterhebung der Nahverkehrsanstalt Sachsen-Anhalt (NASA) im November 2001 durchschnittlich 185 Reisende gezählt worden seien. Hierbei handelt es sich jedoch um die Reisendenkilometer pro Kilometer Betriebslänge. Das tatsächliche Fahrgastaufkommen, betrift aber weit über 300 Reisende.
Damit gehört die "Saftbahn" zu den meist frequentierten Bahnstrecken im Land, die abbestellt werden soll.
Fehläußerungen gab es auch über die zukünftigen Investitionen in die Schieneninfrastruktur. Laut der NASA ließe sich auch nach einer Sanierung der "Saftbahn", die Zahl der Fahrgäste nicht erhöhen.
Dieser Punkt widerspricht sich aber in der Landesdrucksache 5/183, in dem die derzeitigen und zukünftigen Fahrgastprognosen der Regionalstrecken im Land Sachsen-Anhalt aufgeführt und veröffentlicht sind. Aus diesem Schreiben ist bekannt, das unter Schaffung optimaler Bedingungen (Streckenausbau, neue Fahrzeuge, neue Haltepunkte), und dazu zählt auch die Vertaktung und Abstimmung zwischen Bahn und Bus, sich das Reisendenaufkommen auf 500 Reisendenkilometer pro Kilometer Betriebslänge steigern ließe. Dies wären 150% bzw. 400 Fahrgäste mehr, als bislang!
So sind in den NASA-Fahrgasterhebungen auch keine Gruppenfahrten berücksichtigt. Ein Fehler, denn gerade die preisgünstigen Gruppenfahrten sorgen auf der Bahnstrecke Bitterfeld – Stumsdorf für erhöhtes Fahrgastaufkommen. So wurden zwischen April und Juli 2002 insgesamt über 30 Gruppenfahrten mit ca. 1000 Teilnehmern angemeldet die u.a. von den örtlichen Schulklassen und Vereinen genutzt wurden.
Durch die Ausschreibung der Bahnstrecke bzw. des Regionalnetzes Mittelelbe Netz, wozu auch die "Saftbahn" gehört, könnte durch die Aushandlung eines Verkehrsvertrages Planungssicherheit für Investitionen des zukünftigen Betreibers bringen. So ließen sich auch die Trassengebühren bzw. die Kosten für einen Bahnkilometer deutlich senken; nicht nur für den Investor sondern auch für den Reisenden.
Als Vorbild für einen gut funktionierenden und gesicherten Bahnverkehr sei die Bahnstrecke Freiberg-Holzhau in Sachsen genannt, die in einer relativ dünn besiedelten Gegend liegt. Die Sanierung durch ein privates Eisenbahnunternehmen (RP-Eisenbahn) kostete nur ein Drittel dessen, was die Deutsche Bahn veranschlagt hatte und dauerte nur ein halbes Jahr. Moderne Triebwagen fahren im Stundentakt, auch am Wochenende Die Buslinien sind auf die Bahn abgestimmt. Die Fahrplan-Faltblätter, die im Zug ausliegen, enthalten auch alle Busanschlüsse. Bereits vor Einführung des Verbundtarifs gab es gemeinsame Fahrscheine für Bahn und Bus. Die täglichen Fahrgastzahlen stiegen von 200 auf durchschnittlich 600-700, an manchen Tagen werden auch über 1000 erreicht! Die Strecke Freiberg-Holzhau wurde langfristig von der Deutschen Bahn gepachtet, den Schienenverkehr hat der Verkehrsverbund Mittelsachsen langfristig bei der Freiberger Eisenbahn bestellt. Die Freiberger Eisenbahn ist ein Tochterunternehmen von Rhenus-Keolis (ehem. Eurobahn), an der auch die regionalen Busunternehmen beteiligt sind.
Derartige Bemühungen und Regelungen des ÖPNV im Landkreis Bitterfeld (Abstimmung Bahn / Bus) sind für die Bürger in dem Maße nicht erkennbar.
Konsequenzen
Schon jetzt lassen sich die Konsequenzen,
- preiswerte Bahnfahrscheine (z.B. Hopperticket, Schönes-Wochenende Ticket)
- Anerkennung Bahn Card
- günstige Gruppenfahrten mit bis zu 75% Rabatt
- Anschlussgewährleistung in Bitterfeld und Stumsdorf
die bislang noch nicht erwähnten bzw. angesprochen worden, bei einer möglichen Abbestellung der "Saftbahn" herleiten.
Unterschriftensammlung
Seit Mitte Juli werden Unterschriften zur geplanten Streckenabbestellung gesammelt. So liegen u.a. auf dem Bahnhof in Zörbig und Sandersdorf Eintragelisten aus, die bis zum 23.08.2002 bereitliegen. Zu dieser Sammlung hat der Fahrgastverband PRO BAHN aufgerufen.
Kommentar
Wenn ein über 100-jähriges Wahrzeichen in der Region verschwinden soll, bleibt der Unmut bei den Anwohnern und Gemeinden nicht aus.
So soll die Bahnstrecke Bitterfeld – Stumsdorf, die im Volksmund auch "Saftbahn" genannt wird, die ausgerechnet am letzten geplanten Betriebstag 105 Jahre alt wird, dem "Rotstift" zum Opfer fallen.
Die bisherigen Aussagen des Verkehrsministeriums hinsichtlich des zukünftigen ÖPNV (von Bahn auf Bus) und die Äußerungen eines privaten Busunternehmers im Landkreis Bitterfeld, brachten bislang keine nachvollziehbaren Gründe vor. Die von ihnen veröffentlichten Zahlen und Berechnungen stellten sich als falsch heraus. Die bekannt gewordenen Veröffentlichungen zeigen, wie konzeptlos und verantwortungslos über Dinge geurteilt wird, die von entscheidender Bedeutung nicht nur für die Bürger unseres Landkreises sind, sondern auch über die Landesgrenze hinaus wirken.
Nach Plänen der Landesregierung wird der Busverkehr aus den bisherigen Finanzmitteln des Landes (Schienenpersonennahverkehr) in der Anfangszeit finanziert. Danach wird der Landkreis Bitterfeld diesen Ersatzverkehr finanziell tragen müssen.
Schon jetzt sind uns Probleme bei der Bezahlung und Bereitstellung der Mittel für den Busverkehr im Gebiet Wolfen – Bitterfeld bekannt. Bei der geplanten Abbestellung der Bahnstrecke und Umstellung auf Ersatzbusverkehr lassen die finanziellen Belastungen auf jeden Bürger des Landkreises Bitterfeld vermuten.
Die Anliegerkommunen haben dies richtig erkannt, und setzen sich für den Erhalt dieser Bahnstrecke ein. Dies wird auch vom Fahrgastverband PRO BAHN ausdrücklich begrüßt. Die Meinungsäußerungen der Anwohner zeigt, wie wichtig und bedeutend eine Traditionsstrecke für viele Bewohner des Landkreises ist. Diese Identität spiegelt in der im Mai 2002 durchgeführten Fahrgast- und Bürgerumfrage zur "Saftbahn" wieder.
Die für die Bahn planmäßig im Herbst dieses Jahres einsetzenden modernen Triebwagen kommen bei Streckenabbestellung den Bahnkunden dann nicht mehr zugute.
Gemeindezeitung der Verwaltungsgemeinschaft Zörbig, Amtsblatt \"Zörbiger Bote\"