Comeback der Schiene
Nach Jahrzehnten des Abbaus liegen Konzepte für die Reaktivierung von Strecken vor. Wie das die Verkehrswende voranbringen könnte.
Es geht um Strecken wie die von Templin nach Joachimsthal in der Uckermark. Oder die von Wriezen in Niedersachsen nach Salzwedel in Sachsen-Anhalt. Auch zwischen dem bayrischen Wasserburg und dem 30 Kilometer entfernten Mühldorf fahren inzwischen wieder Züge. Drei Beispiele sind das für Verbindungen, die stillgelegt waren, inzwischen wieder reaktiviert worden sind. Aus Fällen wie diesen schöpfen Bahn-Verbände Hoffnung.
Tatsächlich war zuletzt immer wieder die Rede davon, dass Deutschlands Schienennetz schrumpft. Der Befund stimmt ja auch: 1994 gab es 44 600 Kilometer Bahnstrecken, heute isnd es noch 38 500 Kilometer. Allerdings: Im gleichen Zeitraum sind mehr als 1000 Kilometer wieder in Betrieb genommen worden. Bundesweit geht es um 827 Kilometer, wo es wieder Personenverkehr gibt und um 327 Kilometer Bahntrassen mit neu aufgenommenem Güterverkehr.
Nun wieder Züge unterwegs
Mit einer Deutschland-Karte zeigt die „Allianz pro Schiene“, ein Zusammenschluss von Organisationen, die für eine Stärkung des Bahnverkehrs kämpft, wo nun wieder Züge unterwegs sind. Mit 169 reaktivierten Kilometern Bahnstrecke ist Baden-Württemberg bundesweit Spitze. Nordrhein-Westfalen kommt auf 135, Bayern auf 132, Niedersachsen auf 112, Brandenburg auf 56 und Mecklenburg-Vorpommern auf 484 Kilometer, Sachsen auf 214 und Sachsen-Anhalt auf 79 Kilometer. Im Land betrifft die Reaktivierung meist Güterstrecken, etwa zwischen Bitterfeld und Zörbig (Anhalt-Bitterfeld).
„Die Schiene kommt zurück in Regionen, die lange verwaist waren“, sagte Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, am Montag. Und er erinnerte an die Vereinbarungen von Union und SPD im Koalitionsvertrag. Dort heißt es, die Bundesregierung wolle die Fahrgastzahlen bis zum Ende des kommenden Jahrzehnts verdoppeln.
„Wenn wir das erreichen wollen, müssen wir den langjährigen Rückzug der Schiene aus der Fläche stoppen und ihn an geeigneten Stellen rückgängig machen“, sagte Ingo Wortmann, Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV).
Die beiden Verbände stellten eine wachsende Bereitschaft für die Reaktivierung von Strecken im deutschen Schienennetz fest: „zunehmend werden stillgelegte Verbindungen reaktiviert, weil die Bürger für ihre Fahrten und Unternehmen für ihre Gütertransporte den Eisenbahnverkehr wollen“, sagte Flege. „Eine von der Bundesregierung beauftragte Studie belegt zudem, dass die Reaktivierung von Schienenstrecken aus Umweltgründen sinnvoll ist“, betonte Wortmann. Man fühle sich von Regierungsseite zu einer neuen Debatte über die Wiederinbetriebnahme stillgelegter Strecken daher ausdrücklich ermuntert.
Der VDV hat eine Liste mit Reaktivierungsvorschlägen erarbeitet. Dabei geht es um 186 Strecken mit 3072 Kilometern Länge. Zum Vergleich: Seit 1994 ist das deutsche Schienennetz allein im Personenverkehrsbereich um mehr als 3600 Kilometer geschrumpft. 90 Prozent der Einbußen entfallen auf die ostdeutschen Länder. In Sachsen-Anhalt steht mit der Verbindung von Barby (Salzlandkreis) nach Güterglück (Anhalt-Bitterfeld) auch eine Strecke auf der Liste, deren Reaktivierung das Land prüfen lassen will. Mit dem 15 Kilometer langen Abschnitt könnte aus Sicht des Landes die Elbbrücke in Magdeburg entlastet werden (die MZ berichtete).
Gleise demontiert
Auf manchen Strecken sind die Gleise inzwischen demontiert worden. Wo früher Züge fuhren, verlaufen etwa Fahrradwege. Die beiden Verbände verweisen auf Erfahrungen, wonach sich viele reaktivierte Strecken durchaus wirtschaftlich betreiben lasen – insbesondere bei Bestellung von Zugverkehr im Ein-Stunden-Takt durch die Länder. Allerdings müssen sie erst einmal wieder befahrbar gemacht werden.
„Der Bund ist hier in der Pflicht. Wir fordern ein Bundesprogramm Reaktivierung“, so Dirk Flege, der Allianz pro Schiene“-Chef. Der Bund solle 100 Prozent der Aufwendungen für die Infrastruktur tragen, die Länder die Planungskosten, VDV-Chef Wortmann sagte, Ziel der möglichen Projekte seien insbesondere die Anbindung bisher nicht mehr erschlossener Mittel – und Unterzentren, die Entlastung des Straßennetzes in überlasteten Ballungsräumen sowie Umgehungsmöglichkeiten für störanfällige Eisenbahnknoten.
Mitteldeutsche Zeitung „ Bitterfelder Zeitung“, Berlin/Halle/MZ, Rasmus Buchsteiner und Alexander Schierholz, Ausgabe 21.05.2019