Mehr Geld für Zugverkehr
SACHSEN-ANHALT Neue Linien, kürzere Fahrzeiten: Das Land legt nach bei der Wiederinbetriebnahme stillgelegter Bahnstrecken. Doch den Grünen reicht das nicht.
Sachsen-Anhalt will mehr Geld in den Schienenverkehr stecken und weitet seine Pläne für die Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken aus. So steht auf einer entsprechenden Liste des Infrastrukturministeriums neben der Verbindung Barby-Güterglück (Salzlandkreis/Anhalt-Bitterfeld) samt neuer Elbbrücke nun auch die rund 20 Kilometer lange Strecke von Bitterfeld nach Stumsdorf (Anhalt-Bitterfeld). Ihre Wiederinbetriebnahme würde Direktverbindungen zwischen Bitterfeld und Köthen ermöglichen. Bisher ist dazu ein Umweg über Halle oder Dessau notwendig. Zudem will das Land auf drei derzeit eingleisigen Linien abgebaute Gleise reaktivieren, darunter zwischen Halle und Könnern auf der Pendlerstrecke in Richtung Harz. Damit könnten Reisezeiten verkürzt werden, sagte ein Sprecher des Infrastrukturministeriums.
In Sachsen-Anhalt sind seit 1994 rund 660 Kilometer Bahnstrecken stillgelegt worden, so viel wie in keinem anderen Bundesland. Bundesweit schrumpfte das Schienennetz von rund 45.000 auf rund 39.000 Kilometer. Verkehrsverbände fordern mit Blick auf die Einhaltung der Klimaziele seit Jahren eine Renaissance der Schiene. So hatten der „Verband Deutscher Verkehrsunternehmen“ und die „Allianz pro Schiene“ 2020 in einem Papier vorgeschlagen, bundesweit rund 4.000 Kilometer stillgelegte Strecken zu reaktivieren, vorwiegend im ländlichen Raum. Für Sachsen-Anhalt gab es neun Vorschläge, von denen das Land bislang nur einen verfolgt – die Wiederinbetriebnahme zwischen Barby und Güterglück. Dort könnte mit einer neuen Elbquerung der Knotenpunkt Magdeburg entlastet werden. In der Landeshauptstadt gibt es nur eine Eisenbahnbrücke über den Strom.
Die oppositionellen Grünen fordern nun, auch eine Wiederinbetriebnahme der anderen vorgeschlagenen Strecken zu prüfen, darunter etwa von Berga-Kelbra nach Stolberg. Der Touristenort im Südharz ist seit 2011 nicht mehr per Zug erreichbar, sondern mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur noch alle zwei Stunden per Bus. „Aus Klimaschutzgründen müssen wir die Leute wieder auf die Schiene kriegen“, sagte Cornelia Lüddemann der MZ. Das Argument des Landes, Bahnlinien seien eingestellt worden, weil die Nachfrage nicht ausgereicht habe, lässt Lüddemann ncht gelten: Die vor Jahren zugrunde gelegten Fahrgastzahlen seien mittlerweile veraltet, monierte sie.
Die Grünen-Politikerin hatte die ausgeweiteten Reaktivierungspläne bei der Landesregierung erfragt, über das Ergebnis zeigte sie sich überrascht: „Das ist ermutigend.“ Um den Schienenverkehr im Land zu stärken, dürfte es aber nicht bei Einzelmaßnahmen bleiben, vielmehr sei ein Gesamtkonzept notwendig. „Das vermisse ich“, sagte Lüddemann.
Das Land knüpft Reaktivierungen indes auch jetzt an Mindestfahrgastzahlen: Notwendig „deutlich mehr als 500 Fahrgäste“ pro Tag, schreibt das Infrastrukturministerium in der Antwort auf Lüddemanns Anfrage. Für Bitterfeld-Stumsdorf soll nun ermittelt werden, ob dieses Potential überhaupt vorhanden ist. Ergebnisse sollen im Laufe des Jahres vorliegen.
Für die Strecke von Barby nach Güterglück verhandelt das Land mit der Bahn, der das Schienennetz gehört, derzeit über eine Machbarkeitsstudie. Für den zweigleisigen Ausbau zwischen Halle und Könnern, Vinzelberg und Uchtspringe (Altmark) sowie Langenweddingen und Hadersleben (Börde) laufen Gespräche zwischen Land, Bund und Bahn über die Finanzierung.
KOMMENTAR von Alexander Schierholz
Feigenblatt Schiene
In Sachsen-Anhalt fehlt es an einem politischen Bekenntnis zum Bahnverkehr.
Manche Bahn-Enthusiasten in Sachsen-Anhalt mögen schon von einer S-Bahn Direktverbindung von Bitterfeld nach Köthen träumen. Auf einer stillgelegten Nebenbahn via Stumsdorf. Tatsächlich will das Land diese Strecke nun reaktivieren, wie auch einige andere. Schnelle und moderne Züge und gute Anschlüsse vorausgesetzt, könnte das ein lohnendes Alternativangebot zum Auto sein. Doch Vorsicht vor zu viel Euphorie: Die Reaktivierungspläne sind eine gute Nachricht. Eine Trendwende in der Verkehrspolitik des Landes stellen sie nicht dar.
Bei Licht betrachtet erschöpfen sich die Vorhaben nämlich häufig im Schließen von Engpässen im Netz – wenn aus einer eingleisigen wieder eine zweigleisige Strecke wird. Das ist nicht falsch, aber nicht der große Wurf. In den wenigsten Fällen sollen Ortschaften an ehemaligen Bahnstrecken wieder Zuganschluss bekommen. So wie zwischen Bitterfeld und Stumsdorf oder zwischen Barby und Güterglück.
Dabei gibt es viele ähnliche ehemalige Bahnverbindungen im Land, bei denen es sich lohnen würde, eine Wiederinbetriebnahme zumindest zu prüfen. Fällt eine Entscheidung für eine Reaktivierung, braucht es Geld und ein gutes Angebot, das Pendler zum Umsteigen animiert. Nur ein paar n zu verlegen, das reicht nicht.
Vor allem aber braucht es eines: ein politisches Bekenntnis der Landesregierung zum Schienenverkehr. Doch das ist nicht zu erwarten von einer verantwortlichen Verkehrsministerin, die stattdessen mit dem Bau einer neuen Autobahn liebäugelt – der Verlängerung der A71 durch das Mansfelder Land. Solange es in Sachsen-Anhalt bei einer Verkehrspolitik mit Straßenbau-Schlagseite bleibt, wirkt jeder neue Kilometer Schiene bloß wie ein Feigenblatt.
Foto: MZ-Bericht vom 04.04.2022 |
Foto: MZ-Bericht / Kommentar vom 04.04.2022. |
Mitteldeutsche Zeitung „ Bitterfelder Zeitung“, Halle/MZ von Alexander Schierholz, 04.04.2022