Stillgelegte Strecken: Wo im Land wieder Züge rollen sollen - und wo nicht
Seit 1994 sind in Sachsen-Anhalt mehr als 600 Kilometer Bahnlinien stillgelegt worden. Jetzt gibt es neue Vorschläge für Reaktivierungen. Was das Land sagt.
Seit Jahren fordern Verkehrsverbände immer lauter, stillgelegte Bahnstrecken zu reaktivieren, um aus Klimaschutzgründen mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Doch in Sachsen-Anhalt werden sie kaum gehört.
Gerade haben der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und die Allianz pro Schiene die dritte Auflage einer Studie vorgelegt, in der sie bundesweit alte Bahnlinien zur Wiederinbetriebnahme vorschlagen. Neu für Sachsen-Anhalt: Die Gutachter empfehlen, auf der Strecke Pratau-Bad Schmiedeberg (Kreis Wittenberg)-Eilenburg (Sachsen) den Zugverkehr wieder aufzunehmen. Auch von Biederitz bei Magdeburg ins brandenburgische Ziesar sollten demnach wieder Züge rollen. Doch das Land lehnt ab – wie in den meisten anderen Fällen auch. Dabei sind in Sachsen-Anhalt seit 1994 rund 660 Kilometer Bahnstrecken stillgelegt worden, so viel wie in keinem anderen Bundesland.
Sollen von Wittenberg nach Bad Schmiedeberg wieder Züge fahren?
Für beide Verbindungen gibt es aus Sicht des Infrastrukturministeriums in Magdeburg „kein ausreichendes Nachfragepotenzial“. Für die Strecke von Pratau über Bad Schmiedeberg nach Eilenburg, die sogenannte Heidebahn, gelte das auch „bei erheblicher Aufwertung“ der sanierungsbedürftigen Infrastruktur, sagt Ministeriumssprecher Andreas Tempelhof. Wegen Sicherheitsmängeln sei die knapp 60 Kilometer lange Linie derzeit gesperrt.
Die Position des Landes ist jedoch umstritten. Christian Tylsch (CDU), Landrat im Kreis Wittenberg, teilt sie. „Grundlegend wäre eine Wiederbelebung zu begrüßen, aber sie ist mit hohen Kosten verbunden“, sagt Tylsch. Der Kreis favorisiere daher Busverkehr anstelle der Schiene.
"Jetzt braucht es eine politische Entscheidung".
Sepp Müller (CDU), Bundestagsabgeordneter aus dem Kreis Wittenberg
Allerdings: Verkehrsplaner hatten in einer Studie im vorigen Jahr verschiedene Varianten für eine Reaktivierung durchgespielt - vom Zwei-Stunden-Takt bis zu halbstündlich fahrenden Zügen, mit einem mehr oder weniger ausgebauten Angebot an Zubringerbussen. Beteiligt an den Planspielen waren unter anderem der Mitteldeutsche Verkehrsverbund und Sachsen-Anhalts Nahverkehrsgesellschaft Nasa. Das Ergebnis: Zwar müsse in die Infrastruktur investiert werden. Je nach Variante könne aber die Nachfrage erhöht und der Autoverkehr damit reduziert werden. Die Planer schränken jedoch ein: Die genauen Investitions- und Betriebskosten müssten erst noch errechnet werden.
Sepp Müller will sich mit der Absage des Landes denn auch nicht zufrieden geben. „Die Strecke hat Potenzial“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete aus dem Kreis Wittenberg, „jetzt braucht es eine politische Entscheidung.“ Er sei daher bereits im Gespräch mit Infrastrukturministerin Lydia Hüskens (FDP).
Auf zehn stillgelegten Strecken in Sachsen-Anhalt soll es wieder Zugverkehr geben
Müller engagiert sich in einer Initiative zur Reaktivierung der Strecke, auf der der planmäßige tägliche Personenverkehr, zuletzt nur noch auf einem Teilabschnitt, 2014 eingestellt worden war. Sowohl Wirtschaftsunternehmen als auch Reha- und Kurbetriebe sowie Kliniken in den Kurorten Bad Schmiedeberg und Bad Düben (Sachsen) hätten ein großes Interesse an der Bahn, sagt der Politiker. „Es geht dabei auch um den Umweltaspekt“, betont er.
Insgesamt schlagen die Gutachter der Verkehrsverbände in ihrer Studie nun vor, auf zehn stillgelegten Strecken in Sachsen-Anhalt wieder Personenzüge rollen zu lassen. Doch das Land will den Empfehlungen bislang nur in zwei Fällen folgen. Das wichtigste Projekt: die Wiederinbetriebnahme der Verbindung zwischen Barby (Salzlandkreis) und Güterglück (Anhalt-Bitterfeld) samt Elbquerung. Damit könnte der Knotenpunkt Magdeburg entlastet werden. In der Landeshauptstadt gibt es nur eine Eisenbahnbrücke über den Strom.
Nach Ministeriumsangaben soll gemeinsam mit der Deutschen Bahn nun eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben werden. Geklärt werden muss unter anderem, ob die alte Elbbrücke bei Barby saniert werden kann oder durch einen Neubau ersetzt werden muss. Das zweite Projekt betrifft eine innerstädtische Bahnlinie in Naumburg (Burgenlandkreis). Sie soll verlängert werden, um etwa das Klinikum oder das Landratsamt besser zu erschließen.
Und auch zwischen Bitterfeld und Stumsdorf (Anhalt-Bitterfeld) könnten in Zukunft wieder Personenzüge rollen. Möglich wäre dann eine Direktverbindung zwischen Bitterfeld und der Kreisstadt Köthen, ohne Umwege über Dessau oder Halle. Die Strecke taucht in keiner Studie auf, dennoch will das Land eine Wiederinbetriebnahme prüfen. Ein erstes Ergebnis: Nach Prognosen zur Nachfrage erscheine es mindestens für Teilabschnitte sinnvoll, die Planungen voranzutreiben, sagt Ministeriumssprecher Andreas Tempelhof.
Wer bezahlt den Zugbetrieb in Sachsen-Anhalt? Bund und Land streiten ums Geld
Allerdings: Das werde erst dann erfolgen, wenn sicher sei, dass das Land genügend Mittel habe, um auf der Strecke später auch einen Zugbetrieb finanzieren zu können, schränkt Tempelhof ein. Das Geld dafür, die sogenannten Regionalisierungsmittel, stellt der Bund zur Verfügung. Bund und Länder streiten allerdings seit Monaten um eine im Ampel-Koalitionsvertrag angekündigte Erhöhung. Ausgang offen.
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Presselink: MZ-Online Artikel vom 04.10.2022
Mitteldeutsche Zeitung / Onlineausgabe: MZ-Web, Redakteur Alexander Schierholz, Ausgabe 04.10.2022